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5. Einzelektronen-Tunnelung
Etwa ab Mitte der Achtzigerjahre wurde durch verstärkte Untersuchungen zu den sog. Coulombeffekten in Anordnungen aus ultrakleinen Tunnelelementen die Einzelelektronik als neuartiger Zweig der Festkörperelektronik begründet.46 Die Vorhersagen zum korrelierten Transfer einzelner Elektronen wurden insbesondere an Doppelkontakten bestätigt; frühzeitig verwendete man dazu elektronenlithographisch hergestellte Strukturen.47 Dabei gelang die Präparation kleinflächiger metallischer Tunnelelemente (Submikrometer-Dimensionen), die bei Unterdrückung von thermischem Rauschen und Quantenfluktuationen die Demonstration inkrementaler Ladungseffekte gestatten.
Die Anregung zum Einstieg in das interessante Arbeitsgebiet brachte Wolfram Krech von seinen wiederholten Arbeitsaufenthalten im kryoelektronischen Labor der Moskauer Staatlichen Universität (K.K. Likharev, L.S. Kuzmin) mit. Zunächst wurden im damaligen Wissenschaftsbereich Detektorenphysik umfangreiche theoretische Studien unter Bezug auf den Zentralbegriff der Coulomb-Blockade in Doppelkontakten mit Inselelektrode ausgeführt. Letztere ist bei Erfüllung von zwei Grundvoraussetzungen beobachtbar:
Die Umladungsenergie der Insel nach dem Übergang eines einzelnen Elektrons muss genügend weit über dem Pegel der thermischen Fluktuationen liegen. Das erfordert Tunnelkapazitäten der Größenordnung fF bei Temperaturen im mK-Bereich.
Die Tunnelwiderstände müssen größer als die sog. Widerstands-Quanteneinheit h/e2 (etwa 25.8 KΩ) sein. Diese Bedingung drückt die Vernachlässigbarkeit von Quantenfluktuationen der Elektronen durch die Barriere hindurch aus (quasiisolierte Inselelektrode).
 
 
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Bild 18: Schema eines doppelkontakts mit Gate (singleelectron transistor)
Die Coulomb-Blockade selbst äußert sich dann als Schwellspannung am Doppelkontakt, die zum Einsetzen eines Stromes erforderlich ist. Mit Hilfe einer zusätzlichen Gate-Elektrode ist der Effekt steuerbar: Man erhält den sog. single-electron-transistor (SET), (Bild 18).
Aus der Sicht der beginnenden Neunzigerjahre waren uns gezielte Experimente nur mit metallischen Tunnelanordnungen möglich, die unter Verwendung von Methoden der Elektronenstrahl-Lithographie hergestellt waren. In dieser Hinsicht hatte die "Zwei-Winkel-Schrägbedampfung mit Schwebemaske"48 bereits weite Verbreitung gefunden. Sie wurde von verschiedenen Gruppen in Europa (Göteburg, Moskau, Saclay, Delft) sowie in den USA appliziert. Die Arbeitstemperaturen lagen, bedingt durch die Lateraldimensionen der Funktionselemente (oberhalb von 100 nm) i.a. unter 50 mK.  
 
Als Standardmaterial wurde praktisch durchweg nur Aluminium benutzt. Versuche, die Schattenbedampfung etwa auf Niob mit Hilfe hitzebeständiger Masken auszudehnen, waren Ausnahmen. Darüber hinaus lassen sich Sputtermethoden zur Schichtabscheidung in Verbindung mit schwebenden Masken hier nicht anwenden. Für uns und auch von allgemeinem Interesse waren daher Alternativen zur Schrägbedampfung. Klaus Blüthner entwickelte das Konzept, mit Zugriff auf Sputtertechniken die Materialauswahl entscheidend zu erweitern (insbesondere Einbeziehung hochschmelzender Metalle) und in Verbindung mit Lift-off-Prozessen Reproduzierbarkeit und Integrationsfähigkeit der Funktionalelemente zu erhöhen.
Der Transport einzelner Elektronen in Anordnungen aus ultrakleinen Tunnelkontakten wurde in den Jahren 1994 bis 2000 am Institut für Festkörperphysik der FSU Jena im Rahmen eines Forschungsverbundes (gefördert durch das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie) experimentell intensiv untersucht. Zu Beginn der Arbeiten lagen ausgewogene Erfahrungen bei der Schichtabscheidung und Strukturierung vor, die Versorgung mit kryogenen Medien durch den hauseigenen Verflüssiger war gesichert. Die kryoelektronische Messtechnik mit ihrem Kernstück, einem He3/He4-Mischkryostat (Kelvinox 400, Fa. Oxford Instruments) funktionierte problemlos. Besonderen Stellenwert in der Zusammenarbeit mit den Verbundpartnern hatte die Kooperation mit dem Institut für Angewandte Physik der FSU Jena, das als Auftragnehmer der damaligen Firma LS Leica GmbH sowohl die Ausstattung zur Schichtstrukturierung als auch Personal zur Präparation der nanometrischen einzelelektronischen Bauelemente einbrachte. Ein reger Erfahrungsaustausch existierte auch mit der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Braunschweig, dem Institut für Allgemeine und Theoretische Elektrotechnik/TU Ilmenau und dem IPHT e.V. Jena sowie mit der Universität Bayreuth (uneigennützige Unterstützung in Fragen der Tieftemperaturtechnik).
Unsere Absicht, die Nachteile der oben beschriebenen Schattenwurftechnik zu überwinden, führte zunächst auf die sog. self-αligned ίn-line (SAIL) Konzeption zur Präparation ultrakleiner metallischer Kantentunnel49 (Bild 19, erstes Teilbild).
 
 
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Bild 19: 1 Teilbild: Schema der SAIL-Präparationsmethode; 2 Teilbild: Modulationskennlinie eines supraleitenden Nb/AlOx/Nb-SET (T=300mK)
 
 
Durch Vergleich mit der Schattenbedampfung stellt man folgende Vorteile der SAIL-Technolgie fest: Die Art des Abscheidungsprozesses ist frei wählbar, sowohl Bedampfen als auch Sputtern ist möglich. Letzteres ist für hochschmelzende Materialien besser geeignet; man ist nicht auf empfindliche Schwebemasken angewiesen. Die Kontaktmasken sind hitzebeständig und dienen gleichzeitig als Liftmasken. Nebenschatten treten im Gegensatz zur Zwei-Winkel-Bedampfung nicht auf.
Die SAIL-Präparation wurde zur Fabrikation verschiedenartiger Einzelladungs-Transistoren herangezogen. Bereits Mitte der Neunzigerjahre konnte international erstmalig der Prototyp eines Nb/AlOx/Nb-basierten Transistors (sämtliche Elektroden aus Niob) vorgestellt werden.50 Dessen Steuerkennlinien sind in Abb. 19b enthalten (Daten: Gatekapazität Cg ~3×10-17F, Inselkapazität CΣ~3×10-16F, supraleitende Energielücke 2Δ/e~1,0 mV).
Leider zeigten die nach der praktizierten SAIL-Version hergestellten Einzelelektonen-Transistoren - und dies wurde mit fortschreitender Bearbeitung immer deutlicher - die Tendenz zur Redeposition von abgesputtertem Material an den senkrecht zum Substrat stehenden Metallkanten. Diese Ablagerung tritt bei Lacköffnungen mit hohem Aspektverhältnis naturgemäß auf. Die damit verbundene Streuung der Tunnelwiderstände über mehrere Größenordnungen veranlasste Thomas Wagner, Detlef Born und Uwe Hübner, ein modifiziertes Herstellungsverfahren zu entwerfen, welches die Vorteile der SAIL-Methode, nämlich Elektronenstral-Lithographie in Verbindung mit Schichtabscheidung durch Sputtern, beibehält.
Jetzt werden die Strukturen durch direktes Schreiben mit dem Elektronenstrahl in den Resist übertragen.51 Im ersten Teilbild von 20 ist die Abfolge der wesentlichen Schritte skizziert:
(1) Erzeugung der Zuleitungselektroden und des Gate
· Lackmaske (PMMA)
· Elektronenstrahl-Belichten
· Aufsputtern des Elektrodenmaterials
· Lift-off-Prozess
(2) Erzeugung der Inselelektrode und der Tunnelbarrieren
· Lackmaske zur Generation der Insel
· Belichtung; freiliegende Bereiche der Zuleitungselektroden bilden die Kontaktflächen
· Barrierenerzeugung
· Aufsputtern des Inselmateriales
· Lift-off-Prozess

Die Linienbreiten der Metallstreifen betragen weniger als 100 nm, die Tunnelkapazitäten liegen unter 0,5 fF. Mit einem besonderen Vierlagen-Resist-System wurde ein doppelter Hinterschnitt erzeugt, der zur Vermeidung störender Redepositionen dient und ein perfektes Überlappen nachfolgend abgeschiedener Streifen garantiert (zweites Teilbild von Bild 20). Das Verfahren wurde erfolgreich zur Herstellung von SETs auf der Basis der Metalle Aluminium und Niob angewendet.
 
 
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Bild 20: 1 Teilbild: Schema des Elektronenenstrahl - Direkt - schreibens; 2 Teilbild: REM Mikrograph eines SET vom Typ Al/AlOx/Al
 
 
Die angeführten Optionen können allgemein zur Fabrikation metallischer Nanostrukturen herangezogen werden. Durch die Zusammenarbeit von IPHT, IAP und IFK wurde es möglich, etwa 1999/2000 in Jena supraleitende Qubits als eventuelle Bausteine künftiger Quantencomputer zu entwickeln. Am IFK wurden kürzlich sogenannte Ladungs-Qubits vom Interferometertyp vorgestellt.52 Auf analoge Arbeiten zu Flussqubits wird im folgenden Kapitel eingegangen.
 
 

Literatur

 
    46. Averin, D. V. / Likharev, K. K.: CoulombBlockade of Single-Electron Tunneling and Coherent Oscillations in Small Tunnel Junctions. In: J. Low Temp. Phys. 62 (1986)

    47. Fulton, T. A. / Dolan, G. J.: Observation of single-Electron Charging Effects in Small Tunnel Junctions. In: Phys. Rev. Lett. 59 (1987)

    48. Niemeyer, J.: Eine einfache Methode zur Herstellung kleinster Josephson-Elemente. In: PTB-Mitteilungen. 4/74 (1974)

    49. Götz. M. / Blüthner, K. / Krech, W. / Nowack, A. / Fuchs, H. - J. / Kley, E. - B. / Thieme, P. / Wagner, Th. / Eska, G. / Hecker, K. / Hegger, H.: Preparation of self-Aligned In-Line tunnel Juncions for Applications in Single-Charge Electronics. In: J. Appl. Phys. 78 (1995)

    50. Blüthner, K. / Götz, M. / Hädicke, A. / Krech, W. / Wagner, Th. / Mühlig, H. / Fuchs, H.-J. / Hübner, U. / Schelle, D. / Kley, E.-B.: Single-Electron Transistors Based on Al/AlOx/Al and Nb/AlOx/Nb Tunnel Juncions. In: IEEE Trans. Appl. Supercond. 7 (1997)

    51. Born, D. / Wagner, Th. / Krech, W. / Hübner, U. / Fritzsch, L.: Fabrication of Ultrasmall Tunnel Junctions by Electron Beam Direct-Writing. In: IEEE Trans. Appl. Supercond. 11 (2001)

    52. Chnyrkov, V. I. / Wagner, Th. / Born, D. / Shevchenko. S. N. / Krech, W. / Omelyanchouk, A. N. / Il'ichev, E. / Meyer, H.-G.: Multiphoton transistions between energy levels in a phase-biased Cooper-pair. In: Phys. Rev. B 73 (2006)
 
 
 

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