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6. Arbeiten am IPHT Jena
Die tieftemperaturphysikalischen Arbeiten am Institut für Physikalische Hochtechnologie (IPHT) Jena wurden bereits im Band 1994 des Jenaer Jahrbuchs vorgestellt. 53 Die Abteilung "Kryoelektronik" war die einzige, die bei Institutsgründung eine Arbeitsrichtung begründete, die keine eigene Tradition in den Vorgänger-Akademieinstituten besessen hatte. Ein solcher Start in den Zeiten des Aufbruchs nach der Wiedervereinigung bot einmalige Chancen. Das weltweite Engagement in die neuen Hochtemperatursupraleiter, das auch in Deutschland durch ein entsprechendes Förderprogramm umgesetzt wurde, die großzügige Förderung der neuen Bundesländer durch die Bundesregierung sowie das starke, auch finanzielle Engagement des Landes Thüringen, schufen gute finanzielle Startbedingungen für die Installation einer neuen, technologisch anspruchsvollen Forschungsrichtung am IPHT. Von außen hinzugekommene Experten auf dem Gebiet der supraleitenden Elektronik (Eckhardt Hoenig, vormals Siemens Erlangen als neuer Leiter des Forschungsbereiches, und ehemalige Mitarbeiter der FSU wie Hans-Georg Meyer, Hans-Joachim Köhler sowie einige Studenten bzw. Absolventen) halfen maßgeblich, schnell im Wissen um supraleitende Bauelemente "Auf Stand zu kommen". Der Weitsicht von Hans-Georg Meyer, dem neuen Abteilungsleiter war es zu verdanken, dass nicht nur eine Fabrikationslinie für Bauelemente aus den 1986 neu entdeckten oxidischen Hochtemperatur-Supraleitern (YBCO, Arbeitstemperatur 77 K) aufgebaut wurde, sondern auch für den traditionellen metallischen Tieftemperatur-Supraleiter Niob, der bei 4,2 K arbeitet.

Diese Technologiestrecken wurden im neu errichteten Reinraum des IPHT installiert, der die vormals von AdW und FSU genutzte Reinraumtechnik am Beutenberg ablöste, jedoch zunächst weiter die E-Lithografiesysteme von Zeiss nutzte. Sie umfassen die Abscheidung der für supraleitende Bauelemente nötigen supraleitenden, metallischen und isolierenden Schichten und ihre Strukturierung mittels chemischer und physikalischer Verfahren sowie die laterale Strukturerzeugung durch optische und Elektronenstrahl-Lithographie. Im Resultat können supraleitende elektronische Bauelemente hergestellt werden, die in ihrer Komplexität mit modernen Halbleiterschaltkreisen vergleichbar sind. Ein Beispiel hierfür sind Josephson-Spannungsnormal-Schaltkreise, bei denen 19.700 Josephson-Elemente integriert sind, von denen nicht ein einziges ausfallen darf. 54 Hier schlägt sich das Wissen von Hans-Joachim Köhler, Gerd Wende und Marco Schubert um das Zusammenwirken von Josephson-Bauelementen mit Mikrowellen sowie die technologische Umsetzung durch die Gruppe um Ludwig Fritzsch nieder.  
 
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Bild 21. Josephson-Spanungsnormal für 10 V Spannung
Bild 21 zeigt ein vollautomatisches 10 Volt-Josephson-Spannungsnormal-System, das am IPHT, in enger Kooperation mit der PTB Braunschweig entwickelt wurde. Viele wichtige Staatsinstitute in der ganzen Welt benutzen mittlerweile die Spannungsnormale des IPHT. Die Bedeutung des Spannungsnormals resultiert aus der internationalen Übereinkunft, die wesentlich höhere Messgenauigkeit von Frequenzen für die Ablösung der früheren Ampere-Definition zu nutzen.

Die Herstellung komplexer kryoelektronischer Schaltkreise auf quasi industriellem Niveau hat sich auch darin niedergeschlagen, dass der "produzierende" Teil der Abteilung als Niob-"Foundry" der Produzent für supraleitende Rechnerschaltkreise in Europa geworden ist. Die Verlässlichkeit der Arbeiten der Abteilung wird durch die ISO-9001-Zertifizierung des gesamten Prozessablaufes belegt.
Seit Ihrer Gründung ist die Abteilung stetig gewachsen. Im Jahre 2006 umfasst sie etwa 40 Wissenschaftler und Techniker. Vier Jahre zuvor wurde die Abteilung in "Quantenelektronik" umbenannt, als Referenz gegenüber den Flussquanten als Träger der ausgenutzten Effekte, verglichen mit der Kälte, die als Namensgeber für die "Kryoelektronik" nur ein Werkzeug zur Erzeugung der passenden Lebensbedingungen für die Supraleitungselektronik darstellt. Im Jahre 2001 wurde die Firma Supracon AG ausgegründet, damit die wachsende Nachfrage von Industriepartnern nach Geräteentwicklungen des IPHT verlässlich erfüllt werden kann.
Das alles wäre nicht möglich gewesen, wenn die Entwicklungen in der Abteilung Quantenelektronik des IPHT auf das supraleitende Bauelement allein beschränkt gewesen wären. Ein wesentlicher Beitrag zum anhaltenden Erfolg war die konsequente Hinwendung zu Systemen, deren Kern natürlich das supraleitende Bauelement ist, die aber "darum herum" weitere Komponenten enthalten, die für den Einsatz in der Anwendung notwendig sind. Von den beiden Stammfeldern der Entwicklung - dem Josephson-Spannungsnormal und den SQUID-Systemen - hat sich in den darauf folgenden Jahren letzteres zum wichtigsten Standbein der Abteilung entwickelt. Durch den konsequenten Einsatz der SQUID-Systeme im rauen Praxiseinsatz gelang es über die Jahre, zwei an sich völlig gegensätzliche Dinge in Einklang zu bringen - die extrem große Sensitivität der SQUID-Sensoren gegenüber kleinsten zu messenden Magnetfeldern und die gleichzeitige Robustheit gegen große Störungen, wie sie bei den meisten Anwendungen auftreten. Damit wurde der Weg bereitet, die Industrie so zu interessieren, dass sie zunehmend die Entwicklungen direkt finanziert und so das Auslaufen des Förderschwerpunktes Supraleitung nicht das finanzielle Aus für die Entwicklungen am IPHT bedeutete.  
 
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Bild 22: 1 Teilbild: Schema der Anordnung.1=Antenne, 2=Referenz-Magnetometer-SQUID, 3=Antennenzuleitung mit mehreren Überkreuzungen, 4=SQUID zur Ankopplung der Gradiometerantenne. 2 Teilbild: REM-Aufnahme des zentralen Teils eines SQUIDs
 
Einen Meilenstein auf diesem Wege stellte die Entwicklung eines extrem empfindlichen und hochabgeglichenen SQUID-Gradiometers für den Einsatz bei 4 K durch Ronny Stolz in Zusammenarbeit mit Viatcheslav Zakosarenko dar (Bild 22).55 Durch seine komplexe Struktur gelingt es, eine sehr große Gradientenempfindlichkeit bei gleichzeitig starker Unterdrückung aller homogenen Magnetfelder zu erreichen. Dieses hochbalancierte Gradiometer bildet den Kern einer Reihe anwendungsorientierter Entwicklungen. Die vielen Systemkomponeten "darum herum", wie angepasste SQUID-Elektronik, Kryostat oder Messkopf sind dann spezifisch für die jeweilige Anwendung des SQUID-Messsystems. Nicht unwichtig sind dabei die Elektronikentwicklungen von Marco Schulz.
Der anspruchsvollste Einsatz ist die Kartierung des Erdmagnetfeldgradienten aus der Luft. Ziel ist die Erfassung von Materialien mit verschiedenen magnetischen Eigenschaften, um daraus auf Bodenschätze in der Erde schließen zu können. Um genau lokalisieren und sogar die Tiefe bestimmen zu können, ist das SQUID-System mit fünf höchstempfindlichen SQUID-Gradiometern und drei Magnetometern ausgerüstet. Dadurch kann man den vollen Magnetfeldgradienten-Tensor der Erde in der Bewegung aus der Luft messen. 56 Dies ist weltweit das erste System, das dazu in der Lage ist.

Eine "abgerüstete" Variante mit nur einem Gradiometer pro Messkanal wird für die Magnetfeldkartierung am Boden eingesetzt. Stellvertretend für die vielen anspruchsvollen SQUID-Messsysteme sei es an dieser Stelle ausführlich erläutert.
Ziel der magnetischen Prospektion in der Archäologie ist es, Spuren menschlicher Aktivitäten ohne Grabung bei hoher Messleistung zu erfassen. So machen sich gebrannte Ziegel oder Keramiken in einer leichten Störung des Erdmagnetfeldes bemerkbar. Selbst verrottetes Holz hinterlässt solche Spuren, weil die Bakterien, die das Holz zerlegen, leicht magnetisch sind. Kann man diese kleinen Signale aus dem großen Hintergrund des Erdmagnetfeldes herauslösen und sie exakt dem Messort zuweisen, erhält man eine archäologische "Kartierung" der menschlichen Aktivitäten in der Vergangenheit.  
 
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Bild 23: SQUID-System für die archäologische Prospektion beim Einsatz in Peru. Der Messwagen wird von einem Jeep gezogen.
Das komplette System im Einsatz ist in Bild 23 dargestellt. Der Messwagen ist völlig ohne Metall aufgebaut, um die superfeinen Messungen nicht zu stören und er hat vier einzeln aufgehängte Räder, um auch in unwegsamem Gelände noch arbeiten zu können. Die SQUIDs stecken in den beiden Kryostaten für flüssiges Helium (im Bild an ihren orangefarbenen Schutzhüllen zu erkennen), welches die Einsatztemperatur von 4 K gewährleistet. An einem Stab sind oben zwei Antennen befestigt, eine GPS-Antenne zur Bestimmung des Messortes und eine Radioantenne, welche die Signale einer extern fest aufgestellten GPS-Referenzantenne misst. Beides zusammen ermöglicht eine Genauigkeit der Ortsbestimmung im Zentimeter-Bereich. Mithilfe eines Inertialsystems auf dem Wagen wird aus der GPS-Antennen-Position die eigentlich interessierende Lage der SQUID-Sensoren über dem Messfeld berechnet. Während der Fortbewegung hat der Operator im Jeep Kontrolle über alle erfassten Daten einschließlich der Position durch Echtzeitdarstellungen auf dem Display eines Notebooks.
Mit diesen Parametern - einer Auflösung von lokalen Magnetfeldänderungen bis zu einem Milliardstel Teil des Erdmagnetfeldes und einer zugehörigen Ortszuweisung bis in den Zentimeterbereich - ist das Messsystem des IPHT Jena einzigartig in der Welt. 57 Hinzu kommt, dass mit den eingesetzten SQUIDs auch viel schneller als mit anderen hochgenauen Magnetfeldsensoren gemessen werden kann. Dadurch kann mit einem Geländewagen das Messfeld zügig abgefahren werden, wodurch ein Messfortschritt von ca. einem Hektar pro Stunde erreicht wird. Dadurch wird es erstmals möglich, große Flächen in ökonomisch vertretbaren Zeiten vollständig magnetisch zu charakterisieren. Andreas Chwala, Volkmar Schultze und Sven Linzen haben das System in vielen Einsätzen getestet und verbessert.  
 
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Bild 24: Magnetfeldgradient einer Messfläche bei Palpa, Perum aufgenommen mit dem in Bild 23 gezeigten Messsystem
Ein Beispiel für das Ergebnis einer derartigen magnetischen Prospektion ist in Bild 24 zu sehen. Sie zeigt den Magnetfeldgradienten über den georeferenzierten Koordinaten von einer etwa 240 x 40 m2 großen Messfläche in der Nähe von Palpa/Nasca in Peru; einer Gegend, die durch ihre mehr als 1000 Jahre alten riesigen Scharrbilder in der Wüste bekannt ist. Auf dem Magnetogramm kann man im oberen Teil neben einem neuzeitlichen, schräg verlaufenden Weg viele geometrische Elemente erkennen, die auf frühzeitliche Siedlungsstrukturen schließen lassen.

Ein abschließendes Beispiel für die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des hochabgeglichenen SQUID-Gradiometers ist die Aufnahme eines fötalen Magnetokardiogramms, 58 dargestellt in Bild 25. Die Innovation gegenüber vorhandenen Systemen ist die Möglichkeit, auf aufwendige und teure magnetische Schirmkabinen verzichten zu können, also in normalen Arztpraxen den Herzschlag des ungeborenen Kindes aufzeichnen zu können.

Eine ganze Gruppe, die sich einer brandneuen Forschungsrichtung verschrieben hat, etablierte sich in den letzten Jahren innerhalb der Abteilung mit Hilfe der Kooperation mit der FSU. Sie beschäftigt sich mit der Realisierung von Quantenbits und Quantenrechnern mittels supraleitender Schaltungen. 59 Hier ist es erstmals gelungen, drei und vier Qubits miteinander zu verschränken; ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zu echten Quantenrechnern. Die hierfür verwendete supraleitende Struktur ist in Bild 26 dargestellt. Die Arbeiten der Gruppe um Evgeni Il’ichev wurden 2004 mit dem Thüringer Forschungspreis geehrt.  
 
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Bild 25: Ungeschirmte Aufnahme eines fötalen Magnetokardiogramms. 1 Teilbild: SQUID-System des IPHT im Einsatz. 2 Teilbild: fötales MKG
 
Nach über einem Jahrzehnt des konsequenten Aufbaus an Expertise und technologischer Infrastruktur ist die Abteilung Quantenelektronik des IPHT weltweit zu einem geachteten und gefragten Partner bei der Entwicklung und Anwendung von Bauelementen und Systemen auf den Gebiet der Flussquantensensorik und -elektronik geworden. Von ihr sind eine ganze Reihe weltweit beachteter Innovationen sowohl im Bereich der Grundlagen- als auch der angewandten Forschung ausgegangen. Alle Arbeitsgruppen haben auf ihrem jeweiligen Fachgebiet den fortgeschrittenen internationalen Stand erreicht bzw. bestimmen selbst diesen Stand, wie beispielsweise auf dem Gebiet der hochaufgelösten geophysikalischen Exploration oder der Entwicklung von Festkörper-Qubits für die Quantenrechentechnik.  
 
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Bild 26: Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Chips mit vier Qubits.
Über die HTSL-Ergebnisse der Abteilungen Magnetoelektronik, vor allem in Hinblick auf Bolometer, SL-Filter und der Züchtung neuartiger Dünnschichtmaterialien sowie der Abteilung Magnetik im Hinblick auf Einkristallzüchtung sowie der "schweren Anwendungen" von HTSL für Energiespeicher, Elektromotoren und Levitation, wurde bereits im Jahrbuch 2004 53 berichtet.
Deutschland- und praktisch auch weltweit einzigartig ist die hier entwickelte technologische Infrastruktur zur Entwicklung und Anwendung von Detektoren und Bauelementen, die von deren Simulation und den computergestützten Entwurf, über die Fertigung im Rahmen von Viellagen-Dünnschichtsystemen, deren Mikro- und Nanostrukturierung und über die entsprechenden Aufbau- und Verbindungstechniken bis hin zu Charakterisierung und Anwendung in speziell entwickelten, kundenspezifischen, komplexen Messsystemen reicht.
 
 

Literatur

 
    53. H. Barthelt / Dintner, H. / Fischer, K. / Hoenig, E. / Stafast, H.: Institut für Physikalische Hochtechnologie - Forschung und Technologie für innovative Systeme. In: Jenaer Jahrbuch für Technikgeschichte Bd. 6, Jena: Glaux Verlag, 2004

    54. May, T. / Schubert, M. / Wende, G. / Hübner, U. / Fritzsch, L. / Meyer, H.-G.: Cross Type Sub-micron Josephson Junctions Using SNS Technologie for Josephson Voltage Standard Applications. In: IEEE Trans. Appl. Supercond. 13 (2) (2003)

    55. Stolz, R. / Fritzsch, L. / Meyer, H.-G.: LTS SQUID sensor with a new configuration. In: Supercond. Science & Technol. 12 (11) (1999)

    56. Meyer, H.-G. / Stolz, R. / Chwala, A. / Schulz, M.: SQUID technology for geophysical exploration. In: physica status solidi (c) 2 (2005)

    57. Schulze, V. / Chwala, A. / Stolz, R. / Schulz, M. / Linzen, S. / Meyer, H.-G. / Schüler, T.: A SQUID system for geomagnetic archaeometry, 6th Int. Conf. on Archaeologicall Prospecton (Archeo 2005), 14-17 Sept. 2005, Rom

    58. Stolz, R. / Zakosarenko, V. / Bondarenko, N. / Schulz, M. / Fritzch, L. / Oukhanski, N. / Meyer, H.-G.: Intergrated SQUID-Gradiometer System for Magneto-Cardiography without Magnetic Shielding. In: IEEE Trans. Appl. Supercond. 13 (2) (2003)

    59. Grajcar, M. / Izmalkov, A. / van der Ploeg, A.H.W. / Linzen, S. / Plecenik, T. / Wagner, Th. / Hübner, U. / Il'ichev, E. / Meyer, H.-G. / Smirnov, A. Yu. / Love, P.J. / Maassen von der Brink, A. / Amin, M.H.S. / Zagoskin, A.M.: Four-qubit device with mixed couplings. In: Phys. Rev. Lett. 96 (2006)
 
 
 

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